Texte

manchmal braucht Schwarz etwas Farbe

Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg
Eröffnung der Ausstellung am Freitag, 29. März 2019, im Städtischen Museum Engen und Galerie

„Die Welt muss romantisiert werden.“ Wer hätte das gedacht, dass die Forderungen von Schriftstellern und Philosophen ausgerechnet der Frühromantik auch und gerade heute – über 200 Jahre nach ihrer ersten Verlautbarung – immer noch so zeitgemäß und revolutionär erscheinen? Denn mit dem Epochenbegriff der Romantik ist ja nicht etwa breitenwirksamer Kitsch und rührselige Gefühlsduselei gemeint, wie wir sie heutzutage möglicherweise mit diesem Begriff assoziieren. Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772–1801) – besser bekannt unter seinem Pseudonym Novalis – vielmehr erklärte es folgendermaßen: „Die Welt romantisieren heißt, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt. Erst durch diesen poetischen Akt der Romantisierung wird die ursprüngliche Totalität der Welt als ihr eigentlicher Sinn im Kunstwerk ahnbar und mitteilbar.“

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Gestische Spuren

Für Dieter Konsek ist die genaue Naturbeobachtung Ausgangspunkt seiner künstlerischen Arbeit. Detaillierte Studien der fraktalen Strukturen verdichten sich zu einer ganz persönlichen Kalligrafie. Die Zeichnungen entstehen draußen vor der Natur, angeregt von Bäumen und den Spuren der Landschaft. Oft arbeitet Konsek vor Ort an verschiedenen Blättern gleichzeitig, so dass unterschiedliche Fragmente zu neuen zeichnerischen Fugen verschmelzen. So entsteht mehr ein Abbild des Eindrucks, denn eines der Natur. Es ist eine reflexive Form der Beobachtung, die während des Zeichenprozesses immer wieder Neues generiert. Die Entstehung der Zeichnung ähnelt so dem Wachstum der Natur.

Prof. Dr. phil. Martin Oswald, Weingarten (aus: Kunst Oberschwaben 20. Jahrhundert 1970 bis heute, Schloss Achberg, 2014)

 

Nur Zeichnung – „nach Goya“

Seit Jahren schon ist ihm (Dieter Konsek) für sein Zeichnen neben der Natur das graphische Werk Goyas Widerstand, Anregung und schöpferischer Fundus. Vor allem sind es die Radierungen Los Caprichos (deutsch „Launen“, „Einfälle“, „launige Einfälle“), mit denen er sich, wie schon zahlreiche Künstler vor ihm, auseinandersetzt.

Doch übernimmt Dieter Konsek nicht die Aussagen des jeweiligen historischen Blattes, sondern greift einzelne ihm ins Auge springende Formelement heraus, so als ob punktuelle Blitzlichter für einen kurzen Moment einen Ausschnitt der Szenerie überdeutlich ausleuchten und gleichsam aus dem Bildganzen herausreißen, und macht sie sich zu eigen in einem Akt zeichnerischer Beschwörung.

Er führt uns vor Augen, wie noch in der Vereinzelung und isolierten, fragmentierten Adaption den scharf überzeichneten Figuren Goyas unglaubliche Kraft innewohnt.

Mit seiner Lesart will er durch Dunkles das Dunkle verdrängen, versucht bisweilen auch die ihn heimsuchenden Dämonen, die eigenen düsteren Zweifel und Anfechtungen zu vertreiben, indem er sie in seinen Zeichnungen benennt und festzurrt mit seiner ganz persönlichen Bildsprache, seinem gestischen, zuweilen wilden Strich, so wie der Leser einen poetischen Text nur für sich zu gewinnen vermag, wenn er ihn neu formt, auf sich bezieht und zuschneidet.

Für Konseks Zeichnungen, seien es Natur- und Landschaftsmotive oder die Arbeiten nach Goya, mag die fernöstliche Weisheit gelten: „ Reichen die Wurzeln tief, gedeihen die Zweige.“ Oder anders gesagt: Erst bohrendes, gründliches, bis zum Kern und Wesen reichendes Schauen ermöglicht solche Bilder.

Anton Schmid, Kißlegg (aus: Dieter Konsek, „Nur – Zeichnung!“ 2017)

 

Warum nur Spuren der Bäume?

Dieter Konsek verwendet charakteristische Verwitterungsformen alter Baumstämme als Grundlage für seine Bildkompositionen: Flecken, Risse, Spalten, Schrunden, Löcher, Wucherungen, Moose und Flechten. Diese Elemente ordnet er im Bildgeviert nach kompositorischen Gesichtspunkten.

Die Offenheit und Selbstständigkeit dieser Malerei bleibt stets an das Naturerlebnis, speziell der Bäume gebunden. Aber sie illustriert dieses Naturerlebnis nicht, sondern sie entwickelt Bildstrukturen parallel zur Natur (was Cézanne ausdrückte). Diese gestalterische Freiheit führt zur Abstraktion, zur Vereinfachung und Konzentration. Sie zeigt sich auch in der Mehrdeutigkeit der Bilder.

Prof. Gerold Kaiser, Weingarten (aus Eröffnungsrede: Malerei und Zeichnung, Kornhausgalerie Weingarten 2012)

 

Spuren der Bäume

Dieter Konseks Zeichnungen halten nicht nur einen Gegenstand fest oder bezeichnen seine Oberfläche, sondern spüren gleichsam dem Wesen der Dinge nach wie prinzipielle Umschreibungen. In diesen „genetischen Protokollblättern“ über die Natur finden sich Aussagen über Wachstum ebenso wie die Darstellung von Rhythmus und eine Art Choreografie aus Konzentration und Verflüchtigung. Dieter Konsek zeigt schon mit einer kleinen Auswahl grafischer Arbeiten, wie ein Landschaftsausschnitt oder ein Stück Natur, ein Baum, den wir abbilden, auch zum Text wird über unsere Position und unser Empfinden in oder gegenüber der Natur.

Bernhard Maier, Sigmaringen (aus: Dieter Konsek, Spuren der Bäume 2010)